Crucenacha – damals, wie war das doch? Parabel in 5 Akten

Der letzte und der erste Tag der Civitas Crucenacha

( und 5 Jahre danach )

Parabel in fünf Akten als Stück und Hörspiel

Motto: Gestern wird sein, was morgen gewesen ist. (G. Grass: Das Treffen in Telgte)

C. Selchenir – Mendes

– 1 –

VORWORT

Nur wenn die Wirklichkeit zur Komödie abrutscht, kann die Wahrheit sich anklammern, und man hält sie aus.

– 2 –

PERSONEN

Stimme des Gauleiters

Kreisleiter

Ortsgruppenleiter

PG Weißmüller, Obmann Kreuznach West

PG Hannes, Obmann Kreuznach Ost

PG Saliner, Obmann Kreuznach Süd

PG Adolf Adolfsen Obmann Kreuznach Nord

Georg, sonst Schorsch, ehem. Rotfrontkämpferbund

Hitlerjunge Quex, Fähnleinführer

BDM-Maid Marri, Tochter von PG Hannes

Sergeant Whitemiller

Dolmetscher Baruch

Capitaine François Poilü

Pädagoge Opportuno

Amerikanischer Soldat

Musik, Geräusche, Attrappen Panzer, Waffen, Gartengeräte, Fahrrad usw.

– 3 –

ANMERKUNG:

Personencharakteristik

Blockwart West: etwas ängstlicher Typ, bieder, Mitläufer

Blockwart Ost: Hannes, redet Dialekt, gut zu seiner Tochter Marri, sieht ein, dass er politisch falsch gedacht hat, Reue zu spät

Blockwart Süd: Intellektueller, glänzendes Auftreten, saubere Uniform, nachher genauso, bestes Zivil, bestes Hochdeutsch

Blockwart Nord: Großmaul, Feigling, Super-Nazi, dann schwenkt er um, war schon immer dagegen

Schorsch : ehemaliger Angehöriger der KPD, edler, ehrlicher Typ, überzeugter

Kommunist, KZ-ler, treuherzig, hilfsbereit

Quex : jugendbewegt, mißbrauchter Junge, begeistert, romantisch

Marri : redet Dialekt, aber auch Hochdeutsch, radebrecht Englisch

Pfarrer : salbungsvoll, je nach Lage

Sergeant Whitemiller : schnoddriges American, überlegen, bisschen kindlich

Baruch : Hochenglisch, Alltagsdeutsch, selbstsicher, siegesstolz

Poilü : übertrieben selbstsicher, französisierend, Herrentyp

Kreisleiter : großsprecherisch

Ortsgruppenleiter : hilfloser Typ, der seine Fehler einsieht

– 4 –

PROLOG

Es hebt sich nun ein Spielen an

für euch, für dich, für jedermann.

Wir drehen jetzt in diesem Stück

die Zeit ein wenig nur zurück,

dass niemand hier im Saal vergisst,

wie es einmal gewesen ist.

Jedoch verengt nicht euren Blick

und spart nicht scheu mit der Kritik:

wir leben nicht im Mittelalter

und sind auch nicht bloß Unterhalter.

.

Die Wahrheit heilt, wie ihr wohl wisst,

auch dann, wenn sie sehr bitter ist.

Denn Wahrheit wird hier euch gezeigt,

auch dann, wenn Namen sie verschweigt.

Doch Ort, Ereignis, die man kennt,

sind nachweisbar im Dokument.

– 5-

ERSTER AKT

Auf der Bühne: Kreisleiter, Ortsgruppenleiter, Obmänner, Frauenschaftsführerin, Volkssturmmann,

HJ-Jungen, BDM-Mädchen. Sie schauen in die linke Kulisse. Der Badenweiler-Marsch wird intoniert….

Stimme des Gauleiters (à la J. Göbbels).

Volksgenossen, Volksgenossinnen! Der Entscheidungskampf in der Verteidigung des Abendlandes gegen die dekadenten Nationen des Westens und gegen das Untermenschentum der Steppe des Ostens tritt unabdingbar in die zeitgeschichtliche Wende. Es ist fünf Minuten nach zwölf! Die neuen Geheimwaffen stehen bereit! Der Führer lässt den Feind nur deshalb so weit in unser Vaterland eindringen, um ihn desto entscheidender zu zerschmettern! (Beifall). Jetzt kann und wird jeder Volksgenosse und jede Volksgenossin beweisen, wie sehr wir dem Feind überlegen sind. Panzerspitzen nähern sich von Westen kommend dem Rhein. Sollte es diesen Horden gelingen, bis zu uns vorzudringen, werden wir ihnen die Abfuhr erteilen, die sie verdienen, hat der Führer gesagt! (Beifall). Darum befehle ich im Namen des Führers, jeder, ob Mann, Frau oder Kind, wird sich dem Feind entgegenstellen und ihn zurückjagen dorthin, wo er hergekommen ist, in den Atlantik! (Beifall). Zu diesem Zweck befehle ich Ihnen, Parteigenosse Kreisleiter, (dieser steht stramm und grüßt mit dem deutschen Gruß in die Kulisse): Sie haben die Aufgabe, die Stadt Kreuznach, ihre Stadt zu verteidigen bis zum letzten Mann! Der Führer schaut auf Sie! Weichen Sie keinen Zentimeter zurück! Dem Führer ein dreifaches Sieg-Heil! (Alle brüllen Sieg-Heil. Man hört das Anspringen eines Autos, dann Abfahrgeräusche).

Kreisleiter (dreht sich langsam um und mustert die andern).

Volksgenossen und Volksgenossinnen! Wir haben soeben aus dem Mund des Gauleiters vernommen, dass sich der Feind erfrecht, sogar bis an die Mauern unserer Stadt vorzurücken. Aber dank eurer Tapferkeit wird dem Feind Einhalt geboten werden! Ich beauftrage Sie, Parteigenosse Ortsgruppenleiter, alles in Ihrer Macht Stehende zu veranlassen, unsere Stadt, Ihre Stadt, in Verteidigungsbereitschaft zu versetzen. Dazu befehle ich: ich erkläre Kreuznach zur Festung! Sie haben an den Ausfallstraßen geeignete Maßnahmen zu treffen, durch die jeder Angriff des Feindes scheitern wir! Errichten Sie Barrikaden, legen Sie Minen! Der Hitlerjugend befehle ich, Gräben auszuheben. Wenn nicht genug Hacken und Schaufeln vorhanden sind, konfiszieren Sie Gartengeräte. Ich werde Anweisung geben, dass alle Kleingärtner sofort auf dem Kornmarkt ihre Garteninstrumente abzuliefern haben. Der Führer schaut auf jeden von euch, auf dich, deutscher Mann, auf dich, deutsche Frau, auf dich, deutscher Jungmann, auf dich, deutsches Mädchen! Ich hole indessen Verstärkung herbei und nehme Verbindung auf zu unserer unüberwindlichen Wehrmacht. In diesem Sinne…. (wird unterbrochen, ein HJ-Junge stürzt herein, grüßt, übergibt einen Zettel) …. ich erhalte soeben den Funkspruch, dass sich Spitzen amerikanischer Panzerverbände von Kirchberg und Simmern kommend bis Dörrebach vorgewagt haben. (In erhöhter Stimme) Wir werden diesem feigen Vorrücken ein Ende bereiten! Wir werden diesen Feind mit unüberwindlichen Mitteln zum Stehen bringen! In diesem Sinne, unserem Führer, ein dreifaches Sieg-Heil!

(Schon schwächerer Beifall, macht kehrt, dreht sich noch einmal um, grüßt zackig und verschwindet; man hört das Abfahren eines PKW)

Ortsgruppenleiter (räuspert sich, dreht sich langsam um, rückt seine Koppel zurecht, mit krächzender, dann energisch werdender Stimme).

– 6 –

Parteigenossen, Obmänner und Blockwarte! Sie haben soeben den Befehl des Führers an den Gauleiter, des Gauleiters an den Kreisleiter, des Kreisleiters an mich vernommen. Ich befehle Ihnen, Parteigenossen, Obmänner und Blockwarte, sofort und auf der Stelle die Stadt, unsere Stadt in Verteidigungsbereitschaft zu versetzen! Die Straßenkreuzung Rüdesheim-Hargesheim ist hermetisch abzuriegeln! (Er redet viel mit Gestik) Bei den Kleingärten an der Lohrer Mühle wird sich der Feind in unserem gezielten Maschinengewehrfeuer totlaufen! (Er steigert sich in Begeisterung) Wir werden ihm unsere Panzerfäuste in die …. in die Rücken stoßen, wir werden ihn auf unseren Tellerminen in den …. in die Äste der Pappeln hochsprengen! Keinen Zentimeter wird er über den Völkerring bis ins Weichbild der Stadt, unserer Stadt vordringen! Ich beauftrage Sie, Parteigenosse Weißmüller, im Verteidigungsabschnitt West sofort geeignete Maßnahmen zu treffen, um unübersteigbare Barrikaden zu errichten, Gräben auszuheben, die Ufer des Ellerbachs zu verminen! Unsere Hitlerjungen werden als Baumschützen versteckt im Lohrerwald einem eventuellen Vordringen über Hüffelsheim die gebührende Abfuhr erteilen! (Jetzt empathisch) Wie wir einst den französischen Soldaten im Pfälzischen Krieg Anno 1688 widerstanden haben….(jemand räuspert sich, irgendwer sagt: Do honnse awwer die Kauzeborch gesprengt und die Niggelooskerch verbrennt)…. Fast widerstanden haben, so werden wir auch diesmal im Sinne unseres Führers (man hört in der Ferne leises Donnern, einen Augenblick betretenes Schweigen, fährt dann sichtlich sachlicher fort)…. Im Sinne unseres Führers tapfer (er verhaspelt sich) mit der Tapferkeit unserer Sinne dem Führer …. mit dem tapferen Führer unserer Gesinnung (wieder fernes Donnern) …. tapfer, frisch, fröhlich, fromm und frei für unsere tapfere Gesinnung und den Führer kämpfen! …. Sie, meine Obmänner und Blockwarte, versetzen Sie Ihre Stadtviertel bzw. Ihre Häuserblocks in Verteidigungsbereitschaft! Insbesondere Sie, auf Sie, Blockwart West, blickt in diesem geschichtlichen Augenblick unser Vaterland, ja, die ganze zivilisierte Welt! Wiederholen Sie meine Befehle!

PG West.

Zu Befehl! Ich soll dem Feind an der Kreuzung Rüdesheim-Hargesheim entgegentreten, ihn aufhalten, zurückschlagen und vernichten!

Ortsgr.Leiter.

Sehr richtig! Tun Sie das! Organisieren Sie das! Suchen Sie sich die geeigneten Hilfskräfte. Sie haben meine vollste Unterstützung. Sie erreichen mich in meiner Dienststelle. Ecke Mannheimer Straße – Salinenstraße im Braunen Haus, das ich hiermit zu meinem Gefechtsstand erkläre! In diesem Sinne, unserem Führer ein dreifaches Sieg-Heil! (Schon beim zweiten Sieg-Heil verschwindet er in der Kulisse, man hört sich schnell entfernende Schritte)

(Die 4 Blockwarte unter sich)

West.

Warum müssen die Amerikaner, Engländer, Franzosen gerade jetzt von Westen bis an die Lohrer Mühle kommen?

Süd.

Ja, meine Herren, der Feind kam immer aus dem Westen! „Im Westen nichts Neues“, ha ha! Schon die Römer kamen über Gallien….

Ost.

Komme Se, Baddeigenosse, gewwe Se nitt so aan midd Ihrer heehre Bildung; die hilft jetz aach nix mehr. Sie wohne nadiirlich im vornehme Kurväddel! Do werre kee Bombe falle. Wenn do mool widder e Besatzung hiin kimmt, dann losse se die Heiser stehn, weil se aach ebbes vun unserem Heilbad honn wolle un vun unserem Stadion un vun unsere Tennispletz, wenn se komme … sollde!

– 7 –

Nord.

Was Sie da sagen, ist reiner Defätismus! Zersetzung der Wehrkraft, darauf steht KZ! Der Feind darf überhaupt nicht kommen! Der Führer hat selbst gesagt, dass ….

Ost.

Komm, sinn Se still! Wo issen de Fiihrer? Wo issen de Herr Gauleider? Odder unser Kreisleider? Wo sinn se dann? Wo issen die „unüberwindliche Wehrmacht“, die wo jetz midd e paar Karabinere 08/15 un e paar alde Offiziere de Karre aussem Dreck ziehje solle? Idalljeenische Karabiiner hommer unn nor fuffzeh Schuß pollnische Munizion!

Nord.

Haben Sie alle das gehört? Das grenzt an Hochverrat! Ich werde diese Ihre Äußerungen höheren Orts zur Kenntnis bringen!

Ost.

Ei, allemoh, Sie hunnertfuffzichprozentischer Baddeigenosse, duhn Se das ruhich, wenn Se bis zum heehre Ort noch hiinkomme! Awwer jetz helfe Se mool dem Genosse Weißmiller, der die Verteidichung vun Kreiznach-West ze mache hott, un allamiere Se gleich Ihre SA, de Volkssturm und die Frauenschaft. Die solle sofort uff de Holzmarkt komme mit Schaufele, Hacke un Beilcher!

Nord.

Damit habe ich nichts zu tun! Ich bin nur stellvertretender Blockwart, wissen Sie, ich bin nur kommissarisch hier. Der eigentliche Blockwart ist heute dienstlich verhindert. Außerdem bin ich nur h v! Heimatverwendungsfähig!

Ost.

Eewwe! Heimatverwenungsfeehjisch! Simmer in de Heimat odder sunschtwo?

Nord (zuckt die Schultern).

Außerdem bin ich herzkrank!

Ost.

Das simmer all heit!

West (hat bisher vor sich hingestarrt).

Ruhe, Parteigenossen! Auf mir lastet jetzt die Hauptverantwortung. Wie kriege ich genügend kampfbereite Leute an die Lohrer Mühle?

Wer von Ihnen ist bereit, mich in meinem Verteidigungsabschnitt zu unterstützen?

(Alle verstummen)

Süd.

Ich begebe mich an den mir zugewiesenen Frontabschnitt im Salinental! Sieg-Heil! (verschwindet)

Nord.

Ich habe bereits wiederholt festgestellt, dass ich nur stellvertretend im Einsatz bin im Abschnitt Nord. Ich kann dort keinen einzigen Mann entbehren. Ohne direkte Befehle des Dienststelleninhabers Nord kann ich nichts unternehmen. Ich will ja schließlich nicht vor ein Kriegsgericht wegen Amtsanmaßung! Außerdem….

Ost.

Komm sinn Se still. Sie ware schunn immer e große Ja-Sager, und wenn´s druff aankimmt, dann sinn Se e große Nee-Sager!

BDM-Maid Marri (erscheint).

Vadder, die Mamme freet, wannsche zum Essen keemsch?

Nord.

Wie Sie hören, ist außerdem Zeit zum Mittagessen! Ich verabschiede mich mit einem dreifachen Sieg-Heil! (Ab)

Marri.

Vadder, die Mamme läßt dich frooe, wannsche zum Esse deesch komme? Sie hätt doch heit

– 8 –

Naamensdaach. Es wär doch Berdha, heit am sechzehnde März! Sie hätt ebbes Guhdes gekocht!

Ost.

Marri, saa deine Mudder, ich keem gleich. Sie kennt die Supp schunn uffstelle.

Marri.

Awwer loß uns nitt so lang waade! (Ab)

Ost.

So, Hannes Weißmüller, jetzt simmer unter uns. Loß dei Kopp nitt hänge. Erschdens kimmt´s, zwettens anerscht un drittens als merr denkt.

West.

Du hast gut reden. Aber was soll ich denn tun?

Ost.

Zuerscht mool gar nix. Waat´s ab! Hosche geschdern omend BiBiSi London geheert?

West (schaut sich nach allen Seiten um, nickt).

Ost.

Na, dann weesche jo, was los is. Ich honn jo immer gesaat, deen letschde beiße die Hunde. Ich glaab, merr honn de Kriech verloor!

West.

Bitte nicht zu laut! Wenn uns jemand hört, dann sind wir gleich in Dachau! Was soll ich nur machen? Soll ich denn allein an der Lohrer Mühle die Amerikaner aufhalten?

Ost.

Bass uff, geh hiin, mach e kleen Gestell aus e paar Holzbengel, stell das uff die Strooß. Wenn dann fremde Soldade komme, duhsche die Holzbalge widder fott. Zieh awwer vorher die Uniform aus!

West.

Aber das ist doch Feigheit vor dem Feind!

Ost.

Ich kann dir gar nitt mehr zuheere! Hosche dann immer noch nitt kabiert. Es is vorbei middem Dridde Reich!

West.

Und was kommt jetzt?

Ost.

Was soll schunn komme? Jetzt kimmt halt es Vierde Reich!

(wieder Donnern in der Ferne)

West.

Hörst du das? Das ist schon viel näher!

(Man hört marschieren. Ein HJ-Junge erscheint, zackig, selbstsicher)

HJ´ler.

Fähnleinführer Quex, melde mich im Auftrag des Bannführers mit 12 Mann zur Verteidigung Kreuznach-West. Wir unterstellen uns Ihrem Befehlskommando. Welche Aufträge haben Sie?

Ost.

Och, ihr aame Buwe! Was wolld ihr schun groß mache? Geht heem zu eirer Mudder!

HJ´ler.

Zweifeln Sie vielleicht an unserem Mut? Schon mal was vom Weiße im Auge des Feindes gehört? Wir haben Panzerfäuste, Karabiner, Handgranaten, Spaten und Gasmasken. Den ersten Panzer schieße ich ab, weil ich der Führer unserer Schar bin!

West.

Hast du denn schon einmal einen leibhaftigen Panzer gesehen?

HJ´ler.

Natürlich! In der Wochenschau! Da wird doch gezeigt, wie leicht es ist, einen abzuschießen.

– 9 –

Ein Ritterkreuzträger hat neulich einen Vortrag in der Schule gehalten; der hat gesagt: Immer nur rankommen lassen bis auf 30, dann 20, dann 10 Meter, jetzt ruhig zielen, Kimme und Korn und dann hinein!

Ost.

Wenn aber zwee gleichzeidich komme oder drei. Was machschen dann? Du kannsch nor uff eene schieße odder hosche e Stalinorgel?

HJ´ler.

Dann befehle ich einfach: Stellungswechsel! Sie sind vielleicht schon zu alt, um die Lage beurteilen zu können. (Mit Begeisterung) Wir werden es schaffen! (Schaut sich um) Wo sollen wir hier in Stellung gehen?

West.

Geht schon einmal zur Lohrer Mühle und baut euch einen Unterstand. Ich komme gleich nach und organisiere etwas zum Essen. (Zackige Verabschiedung)

HJ´ler (Kommandiert in die Kulisse).

Fähnlein Baldur! Still gestanden! Waffen und Gerät aufnehmen! Ohne Tritt … marsch! (man hört Klappern von Geräten, fröhliches Schwätzen, sich entfernendes Marschieren)

Ost.

Die aame Kinner! Ob die de Namensdaach vun meine guhde Berdha iwwerleewe? Heit, wo´s so e scheene nasse sechzehnde März is?

(Vorhang)

– 10 –

ZWEITER AKT

Man sieht eine provisorische Sperre, Art Barriere, einige zur Mauer aufgetürmte Säcke (Stroh etc.). Zwei HJ-Jungen hämmern, sägen o.ä.

Fähnleinführer Quex (erscheint).

Alles fertig? Ist das auch stabil? (probiert)

Sehr gut, das hält stand! Wir haben eine neue Aufgabe. Wir schwärmen jetzt aus und beziehen unsere Horchposten. Halt, wer kommt da? Parole!

West.

Ich bin´s. Das habt ihr gut gemacht! Der Dank des Vaterlandes ist euch gewiss. Was habt ihr jetzt vor?

Quex.

Wir organisieren einen Spähtrupp bis zum Waldrand Hüffelsheimer Straße. (Wendet sich an die beiden und andere in der Kulisse) Ihr geht mit mir! Ihr dort: mit Waffen und Gerät, Treffpunkt in den Steinbrüchen bei der Schlüsselblumenwiese! Uhrvergleich: zwölf Uhr 20! – Vorwärts Marsch! (Die Jungen entfernen sich)

West (steckt sich eine Pfeife an, Geräusch eines Tieffliegers, nimmt Fernglas, beobachtet nach allen Seiten, stutzt, ruft in die Kulisse).

He, Sie dort, he! Ja, Sie in dem Kleingarten! Was machen Sie da? Kommen Sie sofort her! Aber bisschen dalli! Das ist ein Befehl! (Stellt sich hoch, zeigt auf seine Uniform und Armbinde)

Schorsch (in schäbiger Arbeitskleidung).

Ach, du bisch das! Warum schreische dann so? Was machschen do?

West.

Ich habe dich gar nicht erkannt, Schorsch. Ich verteidige Kreuznach!

Schorsch.

Das is doch nit dei Ernscht! Du alleen, jetzt noch? Mit was dann?

West.

Schorsch, Befehl ist Befehl. Hier ist mein Einsatz. Der Führer hat gesagt: Kein Fußbreit deutscher Erde darf aufgegeben werden! Und was machst du hier?

Schorsch.

Ich bin in meinem Gaade un gieße graad mei Fußbreit deutscher Erde, dass ich im Herbscht aach Gadoffele honn. Außerdem fiddere ich mein Kaaniggel. Vun nix, kimmt nix, vun ebbes muß jo de Schornsteen raache. Iwwerichens: raache: ich honn so große Tabakstaude. Weesche aach, wie man de Eichebau-Tabak fermentiert?

West.

Aber, Schorsch, wie kannst du jetzt von solchem Zeug reden, wo es doch um das Schicksal Deutschlands geht!

Schorsch.

Graad weil es ums Schicksal vun Deitschland geht, gieße ich jetzt mei Gadoffele un fiddere mei Kaaniggel! Hoffentlich siehn ich mei Gadoffele bliije!

West (nachdenklich).

Dasselbe sagt auch Hannes, der Blockwart Ost!

Schorsch.

Och jo, de Hannes! Deen kenn ich guhd. Der war mit mit mir vor 33 im Reichsbanner un is dann im März 33 als Märzveilche in die SA gang, hott sei Peschdche bei de Reichsbahn kriet un muss jetz vor sei Fahrt ins Unglick bezahle! Ja, ja, Räder misse rolle vor de Siech!

– 11 –

West.

Aber, Schorsch, hast du denn keine Angst, so zu reden? Deine Vergangenheit ist doch stadtbekannt!

Schorsch.

Ei, allemoh, endlich kann ich widder saan, was ich denke! Nadiirlich, all wisse es, dass ich im Fanfarezuch vum Rotfrontkämpferbund gewees bin. Ich honn jo aach defoor gebiißt! Zwee Johr honnich im KZ gehockt, Umerziehung honn se das genennt! Wehrunwürdich bin ich, das honn ich schriftlich; ich musst mich jeder politischen Betätigung enthalten. Domools honn ich alles unnerschribb, wasse aach wollde, Hauptsach, ich bin rauskomm außem KZ, sunscht deet ich die Radiesjer vun annere Leits Gaade vun unne aangucke!

West.

Wer konnte aber auch ahnen, dass der 2. Weltkrieg wieder so ausgeht wie der erste, wo wir doch den Führer haben, der immer siegt!

Schorsch.

Du bische e richtische Depp! Graad desweeje verliere merr´n jo. Der Gefreite des „ersten Weltkriegs“, der sich selwer voor de Gröfaz, de „gröschte Fihrer aller Zeide“ hält, hot nix dezu gelernt! Was hot der getönt: Nie wieder einen Zweifrontenkrieg! Un was hommer? De Franzos un die Englänner im Weschde, un wie immer die Amis aach noch, un dann die Spagheddi-Helde, die immer bei de Gewinner sein wolle, un im Oschde de Ruß! Waat´s ab, wenn erscht die Franzmänner komme mit ihre Hawwera wie Anno neuzehn-zwansisch, was die mit uns mache!

West.

Was du da sagst, ist reif fürs Kriegsgericht und die Kettenhunde!

Schorsch.

Ich weeß, awwer dir kann ich´s jo saan. Es hät aach jetz gar kee Zweck mehr. Wem willsche dann das jetz noch saan? Ihr werrd noch all eemool froh sinn, dass ihr mich habt! Waat´s ab!

(Tiefflieger brausen plötzlich vorbei)

West.

Mit deinem verfluchten „Waat´s ab“! Dasselbe hat auch der Hannes gesagt. Aber es muss doch etwas geschehen! Man kann doch nicht so sein Volk ins Unglück stürzen, man kann doch nicht so sein Volk belügen!

Schorsch.

Un ob merr´s kann!

West.

Wo sind denn die Geheimwaffen? Wo sind jetzt die SS und die unbesiegbare Wehrmacht?

Schorsch.

Do komme se graad!

(2 Soldaten rennen vorbei, beide schauen erstaunt ihnen nach)

West.

Warum rennen die denn so?

Schorsch.

Warum werre die dann so schnell laafe? Die sinn am gewinne!

West.

Aber das ist unmöglich! Die lassen uns ja im Stich!

Schorsch.

Ei, die werre doch aach im Stich geloss! Was glaabsch du dann, wo jetz de Fihrer is un die braune Bonze? Die hocke all im tiefschde Bunker und losse die annere die Kaschdanje aussem Feier hole!

(Wieder rennen zwei Soldaten vorbei, der letzte bleibt stehn)

Soldat.

He, ihr Helden, haut ab! Ihr Nachtwächter, was wollt ihr noch hier?

– 12 –

(Rennen weiter, man hört Einschläge, die sich verstärken)

Quex (aufgeregt).

Ich habe sie gesehen! Von meinem Baum habe ich sie gesehen! Hunderte von Panzern, die kommen über Rüdesheim und auch von Roxheim. Die fahren sogar über die Felder und schießen in jeden Strauch! Ich muss das sofort dem Herrn Kreisleiter melden! (Ab)

(West ergreift einen Karabiner, legt sich auf die Sackmauer in Stellung)

Schorsch.

Ich glaab, du hoschse nit merr all! Was willschen mit dem Flitzebooche geeje Panzer mache? – Waat, ich laaf in mei Gaade un hole mei weiß Dichdeck! (Ab)

West.

He, Schorsch, bitte bleib doch bei mir! Laß mich nicht auch noch allein! (Geräusche, bedrohlich, aber nicht lächerlich machen!!)

Schorsch (kommt gebückt zurück).

Du brausch keen Engscht ze honn! Ich bin jo do!

(Beide räumen die Barrieren weg, schauen ängstlich nach vorn, aber das Ganze darf nicht komisch wirken)

Marri (mit Fahrrad).

Was is dann do vorne loos?

West.

Aber Marri, was machst du denn jetzt hier? Warum bleibst du nicht zu Hause, wo´s jetzt so gefährlich ist!

Marri.

Wer soll mir schunn ebbes duhn? Mei Vadder hot gesaat, ich soll moo noo eich gucke, wo Se doch so alleen wäre, un ebbes zum Esse honn ich aach debei do in dem Korb!

West.

Vielen Dank! Danke, aber ich habe jetzt wirklich keinen Hunger!

Marri.

Komme jetz wägglich die annere Soldade, vun dene immer gesaat werrd, dasse veliere duhn?

Schorsch.

Marri, wenn jetz eener kimmt, dann bisch du unsere Geheimwaffe. Kreuznacher Meed honn schun immer große Indruck gemach!

Marri.

Ich honn kee Engscht. „Ein deutsches Mädchen fürchtet sich nicht“! Loss die nor komme, ich spring deene ins Gesicht!

(Sehr lauter Knall, Marri duckt sich blitzschnell, die Männer werfen sich auf den Boden)

Schorsch.

Das is jo wie doomols voor Verdun (Werdeng) Anno sechszehn.

(rollt langsam ein weißes Tuch auf)

(Schießen, lautes Knallen, plötzlich eine Explosion auf der anderen Seite)

West.

Schorsch, was ist denn das? Kommen die auch von hinten?

Schorsch.

Nee, Weißmiller, das war e Sprengung! Ich glaab, die Idiode honn die ald Nohbrick gesprengt, als ob so ebbes Panzer uffhalde kennt! Das hilfd deene Bonze aach nix mehr. Hosche e weiß Sackduch? Marri, do nemm mei Schärz, zieh den BDM-Schlips aus, krempel die Ärmel uff! Un du, Mann, zieh um Himmels willen die Uniform aus, dreh die Jack um, zieh die Stiwwel aus!

(Verstärkte Geräusche, Nähern von Motorenlärm, muß sehr eindrucksvoll lauttechnisch gemacht werden)

(Vorhang)

– 13 –

DRITTER AKT

Gleiches Bühnenbild, West, Marri kauernd am Boden, Schorsch steht aufrecht, hat ein weißes Tuch in der Hand, Kettenfahrzeuglärm verstummt, der vordere Teil eines Panzers (Attrappe) ragt aus der Kulisse. Das Ganze darf keineswegs komisch wirken. Mehrere amerikanische Soldaten springen vorbei, nehmen auf Schorsch keine Rücksicht, Dick Whitemiller und Baruch in Uniform, bewaffnet.

Dick.

Hands up, old boy! Where are German soldiers?

Schorsch.

Gut Freund! Keine Soldaten, wir sind Zivilisten!

Baruch (mißtrauisch).

Wo sind eure Waffen? Was macht ihr hier?

Schorsch.

Wir wollen euch friedlich empfangen! Marri, bring den Wein!

(Marri zögert, bleibt aber hinter West versteckt)

Schorsch.

Marri! Bring doch endlich de Wein!

(Dick kontrolliert die Umgebung, während Schorsch die Flasche öffnet, reicht zwei Gläser den Soldaten)

Baruch.

Trink du zuerst!

(Schorsch trinkt, dann erst Dick, dann Baruch. West erhebt sich)

Dick.

Wer ist dieser Bastard?

Baruch.

Wie heißen Sie?

West.

Richard Weißmüller.

Dick (mit Glas in der Hand, überrascht).

What´s your name? Repeat please!

West.

Mein Name ist Richard Weißmüller.

(Dick redet auf Englisch schnell auf Baruch ein, man versteht ungefähr, das sei seltsam, unmöglich, soll feststellen, wie die Stadt genau heiße, woher dieser Kerl stamme)

Baruch.

Hör zu, Kerl! Wie heißt die Stadt vor uns genau?

(West schweigt)

Schorsch.

Kreuznach, Bad Kreuznach.

Baruch.

Woher stammen deine Vorfahren?

West.

Soviel ich weiß, kommen meine Vorfahren vom Hunsrück, aus der Nähe von Pferdsfeld.

Dick zu Baruch.

Listen please! Mein Großvater – er starb so um 1925 – ich war damals neun Jahre – erzählte immer, dass sein Vater aus Germany stammt. Er sei eingewandert aus Horsefield bei Kreuznach.

– 14 –

(Baruch verdolmetscht das, wiederholt es deutlich)

Baruch.

Der Urgroßvater des Sergeants stammt aus Horsefield.

Marri (couragiert).

Das heißt übersetzt: Pferdsfeld!

Dick.

O, you speak English?

(Marri nickt)

West.

Mein Großvater hat immer von einem Onkel erzählt, der so um 1848 nach Amerika ausgewandert ist. (Pause). Dann sind wir ja Vettern!

Baruch.

Hören Sie, Sergeant, das ist ein Vetter von Ihnen dritten Grades!

Dick.

Warum nicht? Das macht mir nichts aus, Trotzdem ist das ein verdammter Nazi!

Schorsch.

Die Deitsche waare schunn immer groß, sich geecheseidisch umzubringe! Es sinn nocht nitt hunnert Johr her, do honn sich Preiße un Eeschtreicher geechseidisch doodgeschlaa!

Baruch.

Ja, das habt ihr so an euch! Ich stamme aus Frankfurt. Wenn ich nicht Anno 34 zu meinen Verwandten in die USA emigriert wäre, hättet ihr mich auch umgebracht!

Schorsch.

Aach deshalb kennt Ihr so gut Deitsch redde! Na, dann wisse Se aach, dass es aach Deitsche gebb hott, die kee nazi gewees sinn!

Baruch.

Das macht keinen Unterschied! Alle Deutschen sind imgrunde Nazis! Und ihr werdet es alle büßen müssen!

Schorsch.

Merr mißt halt aach Vewandte im Ausland honn wie Sie!

Quex (erscheint aufgeregt).

Da steht ein feindlicher Panzer! Wo ist meine Panzerfaust?

Schorsch.

Sie still un halls Maul! Die honn ich in die Ellerbach geschmiß.

Quex.

Das sind ja feindliche Soldaten! Wie könnt ihr mit denen reden, oder habt ihr die gefangen?

Schorsch.

Die honn uns gefang!

Quex.

Aber das ist doch ganz unmöglich! Der Führer hat doch …

Dick.

Was will dieser Hosenmatz hier? Warum schreit er hier herum?

Baruch (mit Maschinenpistole auf Quex zu).

Marsch, ab in den Kindergarten!

(Quex flüchtet hinter West)

West.

Es ist aus mit dem Heldentum! Sei still! (zu Dick) Er möcht nur euren Panzer von innen sehen!

Baruch.

Also, was willst du hier?

– 15 –

Quex (schüchtern).

Ja, ich möchte nur euren Panzer betrachten!

Dick (pfeift in die Kulisse, ein amerikanischer Soldat erscheint).

Sir?

Dick.

This boy likes to see our machine! Show him the interior of our car!

Soldat (lässt einen Feldapparat (Radio) stehen).

Ai, ai, Sir!

(Quex und Soldat ab)

(Baruch hat indessen am Apparat gedreht. Musik, zuerst amerikanische, dann deutsche dann (lauter) Nachrichten):

Hier spricht das Oberkommando des Heeres. Letzte Meldungen aus dem Führerhauptquartier ……..

(Quietschen, Knarren)….. (dann deutlicher werdend)…… sowjetische Heeresverbände……

Weichselbogen….Breslau….Widerstand…..Im Westen haben amerikanische Panzerverbände geringfügig die Front in Eifel und Hunsrück eingedrückt….Örtliche Einbrüche wurden abgefangen und zurückgeschlagen. Der Feind hatte trotz materieller Überlegenheit hohe Verluste. Im Raum Koblenz – Mainz haben feindliche Panzerspitzen die Stadt Kreuznach erreicht. (Jetzt lauter) Tapfere Kreuznacher Frauen haben den eindringenden Feind mit heißem Wasser überschüttet. Die örtlichen Parteiverbände haben alle Brücken über die Nahe gesprengt, um ein weiteres Vordringen des Feindes zu verhindern. Vorbildlicher Einsatz des Volkssturms und der Hitlerjugend leistet hinhaltenden Widerstand…… (einsetzende Musik)……

Marri.

Habe ich recht gehört? Kreuznacher Frauen hätten den Feind mit heißem Wasser angegriffen?

Schorsch.

Ei, ebbes misse se jo saan!

Quex (kommt zurück).

Das ist ein Panzer! Solche haben wir nicht! Ich durfte sogar einmal zielen!

(Er schenkt dem Sergeant seine Armbinde als Souvenir, man hat sich gesetzt und plaudert, trinkt)

Baruch.

Sir, wir müssen weiter!

Dick (zu West).

Also, Vetter, wir werden in Verbindung bleiben. Wenn alles vorüber ist, werde ich dich besuchen!

Nord (erscheint in Zivil, zeigt einen Zettel vor, verbeugt sich vor den Amerikanern, Baruch nimmt das Papier).

West.

Was machen Sie denn hier, Parteigenosse Adolfson?

Nord.

Ich bin kein Parteigenosse! Ich war nie ein Parteigenosse! Sie erinnern sich, dass ich gesagt habe, dass ich nur der Stellvertreter des Blockwarts Nord gewesen bin! Ich war nur im Opferring, aber nie Mitglied der Partei. Man muss doch mit den Wölfen heulen! (zu Baruch) Ich komme als Abgesandter der Verfolgten des Nazi-Regimes!

Baruch (beachtet ihn gar nicht, redet schnell auf Dick ein, dann zu Schorsch).

Sind Sie Georg Kleingärtner?

Schorsch.

Ih jo!

Baruch.

Waren Sie KPD-Mitglied?

Schorsch.

Ei allemoh!

– 16 –

Baruch.

Waren Sie im KZ?

Schorsch.

Leider, vun 36 bis 39!

Baruch.

Dann haben sie sofort mitzukommen!

Schorsch.

Awwer was honn ich dann jetz widder gedohn?

Dick.

Marsch! Rauf auf den Panzer! Man hat Sie von der Militärverwaltung zum kommissarischen Bürgermeister und Landrat der Stadt Kreuznach ernannt!

Schorsch.

Honnich´s nitt gesaat? Habt der das geheert? Ihr werrd mool froh sinn, dasser mich habt! Awwer was werrd aus meine Krumbeere?

Vorhang

– 17 –

VIERTER AKT

Raum im Stadthaus, Schreibtisch, Wand ohne Führerbild (muss auffallen!) Schorsch

sitzt am Schreibtisch, Akten, Publikumsverkehr, Telefon….

Schorsch (hat ein Führerbild in der Hand, geht umher).

Wo soll ich den Kerl jetzt hiinduhn? Ich honn gesiihn, dasse de Kaiser nohm erschde Kriech in de Abtritt gehenkt honn. Awwer das is voor deen do noch viel zu scheen!

Der kimmt in die Hell….. ich werre deen vebrenne!

(reißt das Bild heraus, Streichholz, verbrennt das Blatt)

So, mein Liewer, jetz hommer mool e zeitlang Ruh. (Geht zum Schreibtisch, klingelt)

Sekretärin (erscheint).

Herr Landrat haben geklingelt?

Schorsch.

Bringe Se nochmool den digge Akdedeggel!

(Sekretärin bringt die Akte, er blättert darin)

Jetz gucke mool do! Der do waar nie in de Partei! Awwer sei Fraa, die hott doch immer´s Maul in de Frauenschaft uffgeriß!….

Un der do, du lachsch dich krank! Der hott uffemool kee aarisch Großmudder, awwer das hilft dem jetz aach nix mehr!…..

Un der do, der is wenischstens ehrlich! Der seet, dass er aan de Fihrer geglaabt hott! Awwer er redd soviel vun Vefihrung!….

Och, du kriesch die Kränk! De Herr Dingsbumms vun iwwernoh, was der voor faule Ausredde hott! Mei Liewer, ich kenn dich zu guht! Awwer ich kann dich nitt leide! Du kannsch ruhisch mool e bißje Kohldamp schiebe!…

Sekretärin (klopft und erscheint).

Herr Adolfson möchte den Landrat sprechen!

Schorsch.

Loß deen e bißje waade! Saanse deem, ich hätt e wichtisch Konferenz!

(Telefon, nimmt den Hörer)

Wie? Amerikanische Kommandatur? Mit wem? Jawohl, Herr General! Machen wir! Jawohl! Wieviel Arbeiter? Wird geschehen! Wie bitte? …… Franzosen? Was ist mit Franzosen? Aha! Ich verstehe! Sollen das Rheinland übernehmen? Viermächtestatus? Wann ist die Übergabe? Vielleicht heute? Jawohl, o.k.! (hängt auf) Jetzt hommers! Ich honns jo geahnt! Die Franzose wolle bis aan de Rhein. Das kenne merr! (klingelt)

Sekretärin.

Herr Landrat haben geklingelt?

Schorsch.

Saan Se dem Schmitt, er soll zeehe Arweider aan die Kasern schicke. Dann losse Se de Adolfson erinn komme!

Nord (noch schlichteres Zivil).

Heil….. Herr Landrat, Sie müssen mir helfen! Ich werde dauernd verleumdet! Mein Nachbar fragt mich dauernd, ob ich noch meine Blockwalteruniform hätte, und dabei hatte der das goldenen Parteiabzeichen! Außerdem wurde ich zu Aufräumarbeiten abkommandiert! Ich habe doch Rheuma!

Schorsch.

Mool langsam! Wie heeßt Ihr Nachbar?

Nord (beugt sich vor, flüstert einen Namen).

– 18 –

Schorsch.

Ei gucke mool aan! Der hot es goldene Baddeiabzeiche? Das hon ich ganitt gewusst. (blättert wieder in dem Aktenstoß) Guck emool do! Das hott er doch verschwieche! Ich glaab, ich muss deem sei Gedächtnis e bißje uffrische! (macht sich Notizen) Un Sie, gehen Se mool scheen zum Uffreime. Ich brauch jetz alle Leit, dass merr die Stadt widder in guhde Zustand krien! Awwer ich werre defoor sorje, dasse bald abgeleest werre!

Nord.

Aber, Herr Landrat, ich habe doch wirklich ein schwaches Herz! Habe ich Sie nicht an der Lohrer Mühle abgeholt, bevor man Sie zum Landrat gemacht hat?

Schorsch.

Allerdings, das is wohr! Glaawe Se dann, dass ich uff das Peschtche scharf bin? Ich wär liewer in meinem Gaadeheisje! Also, jammere Se nitt so laut! Mir misse jetz all de Karre aussem Dreck ziehje! (Nord ab)

Quex (stürmt ins Zimmer).

Herr Landrat, die Kommandatur hat mir erlaubt, dass ich eine Pfadfindergruppe gründen darf! Wir brauchen nur unsere Uniform umzufärben! Wir kriegen auch richtige US-Nahkampfdolche! Ist das nicht großartig!…..

Schorsch.

Un was willsche vun mir?

Quex.

Wir brauchen ein Jugendheim für unsere Gruppenabende und Farbe, um die früheren Parolen zu übertünchen.

Schorsch.

Ihr kennt widder in de Fischerturm aan de nei Nohbrick gehen un bei greeßere Veranstaltunge geht er in die Jugendherberch uffem Kuhberch. Die Farb loßt er eich im Depoo vun de Stadt gewwe. Deene saan ich gleich Bescheid.

Quex.

Vielen Dank, Herr Landrat. Sie haben wirklich ein Herz für Jugend.

Schorsch.

Ei allemoh. Wer die Juchend hott, hott noch lang nitt die Zukunft. Awwer helfe duhn ich eich gern.

Sekretärin (schaut ins Zimmer).

Herr Landrat, ein Herr Lehrer möchte Sie sprechen.

Schorsch.

Loß deen e bißje waade.

(zu Quex) Also, dann duh mool widder

scheen organisiere! Un foor das deitsch-amerikanische Freindschaftstreffe marschiert ihr uff die Pingschtwiss. Awwer singt dann neie Lieder!

Quex.

Thank you very much! Herr Landrat! (will stramm grüßen, besinnt sich jedoch und sagt) Bye, bye! (Ab)

Schorsch (für sich).

Donnerkeil, wie die Junge so schnell umlerne! Das kann ich nitt. Awwer vielleicht is das besser foor uns all! (klingelt)

Sekretärin.

Kann jetzt der Herr Lehrer hereinkommen?

Schorsch.

Erinn middem.

– 19 –

Pädagoge.

Gott zum Gruß, Herr Landrat!

Schorsch.

Ei guck emool do, der Herr Lehrer, sunscht honnse doch „Heil Hitler“ gesaat.

Pädagoge.

Aber ich bitte Sie! Die Obrigkeit wechselt, die Schule bleibt, ich bin vollständig unpolitisch, und der Personenkult um den Reichskulturminister Rust war mir immer zuwider! Jetzt werden wir einen Neuanfang setzen mit moralischer Aufrüstung. Aus den Ruinen erblüht neues Leben!

Schorsch.

Das honn Se scheen gesaat. Awwer ze´erscht misse die Ruine fott gereimt werre. Un was kann ich foor Se duhn?

Pädagoge.

Ich beantrage eine Sonderzuweisung an Glas zur Reparatur der durch Kriegseinwirkung zerstörten Schulfenster.

Schorsch.

Abgelehnt!

Pädagoge.

Wie bitte?

Schorsch.

Sie honn richtig geheert: Abgelehnt.

Pädagoge (jetzt steif).

Ich beantrage ferner Dachschiefer zur Reparatur des durch Kriegseinwirkung zerstörten Schuldaches.

Schorsch.

Aach abgelehnt!

Pädagoge (konsterniert).

Aber, Herr Landrat! Ich beantrage außerdem Kohle bzw. Koks für die Heizung der Schule, wenn wir am kommenden Samstag die Befreiung vom Nazi-Regime feiern! Das können Sie doch nicht ablehnen?!

Schorsch.

Un ob ich das kann! Abgelehnt! „Keiner soll hungern und frieren“, hott de Fihrer gesaat. Den hott de Deiwel geholt, unn jetz werd gehungert und gefror. Basta, Herr Lehrer. Es gibt jetz Sache, die simmer wichtischer. Ich beauftrage Sie, heere Se mer genau zu, ich beauftrage Sie: Sie gehen jetz in alle Krankenheiser vun de Stadt un stelle fescht, wieviel Milisch mir brauche foor alde, kranke Leit un unnernährde Kinner. Nemme Se aach Ihr Kolleesche von de annere Schule mit. Wenn Se das gedohn honn, redde merr widder iwwer Ihre Aanträch!

Pädagoge.

So darf ich doch hoffen, dass Sie uns helfen?

Schorsch.

Ei allemoh. Awwer ze´erscht komme die Mensche draan un dann erscht Dächer und Mauere.

Pädagoge.

Ich bedanke mich und werde Ihren Wünschen sofort nachkommen. Aufwiedersehen! (Ab, während des Hinausgehens stößt er auf West)

West.

Hör mal, Schorsch, e pardon, Herr Landrat, ich muss dich dringend sprechen. Du hast mir das Wohnungsamt übertragen. Da gibt’s erhebliche Schwierigkeiten.

Schorsch.

Wo gibt’s die heit nitt? Was issen los?

– 20 –

West.

Die Amis werfen einfach Leute aus ihren Wohnungen, dann stehen die auf der Straße. Was kann man dagegen tun?

Schorsch.

Jetz kammer gaanix degeeche mache. Die honn die Macht. Vielleicht kimmt´s mool widder anerscht. Die richte sich jetz in foor die neegschde 30 odder vättzisch Johr. Was ze mache is: du geesch mit noch zwee Leit vun Haus zu Haus un stellsch fescht, wo noch leere Stuwe sinn. In een Stubb komme zwee Leit, unn dann losse merr uns noch Baragge gewwe, die stelle merr uff. Awwer die Hauptsach: kommandier noch e paar Aaweider in die Ziecheleije. Die solle Steen mache uff Deiwel-komm-raus!

West.

Und wenn jemand sich weigert?

Schorsch.

Dann seesches mir. Deen streiche ich vun die Leewensmiddelkaade. Awwer es kimmt noch schlimmer! Allewei honn ich iwwers Telefon gesaat kriet, dass die franzeesische Armee vielleicht heit noch es Rheinland iwernimmt! Wenn die komme, dann beschlaachnahme die alle Heiser, die no ebbes aussiihn. Weesche was, du läscht an Heiser, wo Leit mit Kinner drin wohne, Zettel aanhänge, un do werrd druff geschribb: Ansteckende Krankheiten. Un dann machsche e dicke Stempel drunner! Verstann?

West.

Das ist eine gute Idee. Das mache ich sofort! Aufwiedersehen!

(Aufgeregt stürmt Süd herein).

Süd.

Herr Landrat, wir müssen die Sympathie der Besatzungsmacht erringen! Wir müssen sofort die Sportplätze wieder herrichten, damit die Amerikaner ihren Football, Baseball, Rugby spielen können. Außerdem müssen wir wieder alle Bäderhäuser öffnen, damit Kreuznach als Lazarettstadt berühmt wird!

Schorsch.

Nor langsam, Herr Genosse! Wo honn Se dann Ihr scheen Uniform? Nemme Se merr´s nit iwwel. In Zivil siehn Se fascht no nix aus! Awwer das kann sich gewwe. Merr brauche dringend e nei Feierwehr! Un die krien neije Uniforme. Ich ernenne Sie hiermit zum Feuerwehrhauptmann vun Kreiznach!

Süd.

Bitte, Herr Landrat! Keine Uniform mehr! Geben Sie mir irgendeinen Posten, aber nur keine Uniform mehr!

Schorsch.

Also gut, ich ernenne Sie hiermit zum Direktor vun de Molgerei. Soi je Se defoor, dass die Leit e bißje Budder krien un nitt dauernd…… (Telefon) Sinn Se moll schtill! Ich muss jetz ebbes Wichdiggeres duhn! Ja, was is los?…. (hört ins Telefon) Saan Se das nochemool. (Winkt Süd, er soll gehen, Süd geht) Ei jo, die solle ruhich komme….

(nach einer kleinen Pause erscheinen Sergant Whitemiller und Capitaine Poilü)

Whitemiller (gebrochenes Deutsch).

Wir haben nach dem Viemächtestatus neue Verwaltungsgrenzen gezogen. Die Amerikaner übernehmen Hessen und Bayern, Frankreich übernimmt das linksrheinische Gebiet. Ihr Vorgesetzter ist ab sofort hier der Capitaine Poilü. Von ihm erhalten Sie Ihre künftigen Anweisungen. Ich danke Ihnen für Ihre bisherige Mitarbeit und wünsche Ihnen weiterhin Erfolg. Good bye.

(Geht, Schorsch mit Poilü allein)

– 21 –

Poilü.

Vous avez compris? Maintenant, Kreuznach-les-Bain appartient à la Rhénania-Palatinat. Sie sind hier kommissarisch? Ich habe gehört. Dass Sie mit dem einzurichtenden Lager für Kriegsgefangene bei Bretzenheim nicht einverstanden sind? Ich habe ferner gehört, dass Sie Mitglied der kommunistischen Partei gewesen sind? Wie stehen Sie zu Frankreich?

Schorsch.

Ei, ich meen halt, merr soll endlich middem Nationalismus uffheere, un jedes Volk soll frei sein ohne Besatzung.

Poilü.

Sie halten also nichts von Umerziehung im Geiste der Civilisation und des Humanismus?

Schorsch.

Nitt so aarisch viel.

Poilü.

Sie wären also auch nicht für eine führende Rolle Frankreichs, in einem zukünftigen Europa?

Schorsch.

Ich meine, in Europa sollde in Zukunft iwwerhaupt keener alleen es grooße Word fihre. Es wär besser, wann se all zesamme een eenziche Gemeinschaft deede mache, wo jedes Volk es gleiche Recht hot.

Poilü.

Sie meinen also, dass Frankreich dasselbe Recht hätte wie zum Beispiel Luxemburg?

Schorsch.

Ei allemoh!

Poilü.

Und die französische Sprache wäre dann nur eine unter den anderen?

Schorsch.

Jede Muddersprache wär dann gleichberechdicht!

Poilü.

Mein lieber Mann, darüber werden wir uns noch unterhalten, wenn es sich herausstellt, dass Sie dieser Verwaltungsaufgabe hier überhaupt gewachsen sind. Vae victis!

Schorsch.

Was heeßden das?

Poilü.

Ach so, Sie verstehen kein Latein? Haben Sie keine klassische Bildung?

Schorsch.

Brauch merr die, wämmer e normale Mensch is?

Poilü.

Wer hat Sie auf diesen Posten berufen?

Schorsch.

Die Amerikaner! Die honn doch de Kriech gewunn!

Poilü.

Sie meinen, Frankreich hat den Krieg nicht gewonnen?

Schorsch.

Um ehrlich ze sinn: nee. Das hot sich nor aan die Amis draangehängt un war ganz zum Schluss bei de Siecher. Das wollde die Idalljeener dismool jo aach widder mache, awwer die kaame e bißje ze schpeet.

Poilü.

Ich muss sagen, Sie entwickeln da ein eigenartiges Geschichtsbild! Ich zweifle jetzt sehr stark, ob Sie an der richtigen Stelle sind! Sie werden noch von mir hören!

(Ab)

– 22 –

Schorsch (allein).

So, jetz weeß ich, was die Glock geschlaa hot. Ich glaab, jetz reim ich mool widder mei Sache zesame (holt einen Koffer) un iwwerlosse de Uffbau gescheidere Leit! (Klingelt)

Sekretärin.

Herr Landrat wünschen?

Schorsch.

Heere Se mool, Freileinche, kenne Se franzeesisch redde?

Sekretärin.

Oh, naturellement, la langue française est la langue la plus importante du monde et Paris est le coeur de l´univers!

Schorsch.

Ich weeß zwar nit, was Se gesaat honn, awwer Sie hawwe garantiert recht, un Sie bleiwe aach uff ihrem Poschde! Ich glaab, Freileinche, Sie krieje bald e neije Chef!

Sekrtärin.

C´est la vie!

Schorsch.

Was heeßden das widder?

Vorhang.

– 23 –

FÜNFTER AKT

Bühne fast wie im 2. Akt, Gartenlaube, Zaun, Schorsch sitzt auf Bank, zählt Kartoffeln von einem Eimer in den anderen, Radio spielt.

Schorsch.

Zwee´evättzisch…drei´evättzisch…viere´evättzisch…

Ost (erscheint am Zaun).

He, Schorsch, was machschen do?

Schorsch.

Sei still Hannes! Du mach mich dorchenanner…finf´evättzisch…waat e bißje…sexe´evättzisch…was willschen dann…siwwen´evättzisch…

Ost.

Ich wollt nor emool gucke, wie´s dir geht!

Schorsch.

Sei still, honn ich gesaat!…ich zeehle mei Krumbeere…achte´vättzisch…neine´vättzisch…een Aachenblickche…fuffzisch. (Schaut jetzt auf) Also, was issen los? Waat, ich stelle mool es Radio ab. (Dreht Musik ab)

Ost.

Ei, ich wolld mool gucke, ob de Herr Landrat noch leewe duht!

Schorsch.

Ich glaab, du willsch mich eiere! De Landrat…das war e mool! Vor fimf Johr! Dunnerkeil, wie die Zeit vergeht! Jetz mache annere die Verwaltung! Jo, voor fimf Johr, do war ich deene graad guhd genuch foor de erschde Dreck wegzumache, un wie die Franzose kaame, hadde se nix Schnelleres ze duhn, als mich widder heem zu schigge. Awwer ich bin deene gar nitt bees. Mei Kleengaade is merr dausendmool liewer un wichdischer als alle Titel un die vornehme Fätz mit (jetzt Hochdeutsch) „Haben Herr Landrat geklingelt!“ Komm erinn! Hock doch hien. Wieviel Gadoffele hat ich allewei im Eemer?

Ost (kommt auf die Bank).

Ich glaab, es ware graad fuffzisch.

Schorsch.

Richtisch! Das kann ich behalle. Also, du hosch doch ebbes mit mir voor!

Ost/Hannes.

Geschdern hott´s in de Zeidung gestann, du bisch doch in de Vorstand vun de Kleengärtner geweehlt wo´er. Ich honn dich schunn immer beneid! Ich deed geere aach so e Stiggelche Gaade miede! Wann werrden vielleicht ebbes frei?

Schorsch.

Ei, das saan ich dir, wann eener sterbt un dann sei Gaade uffgibt. Du musch dich noch e bißje gedulde. Do hinne is e wunnerbar Stiggelche, vun deem weeß ich, dass es schunn fascht es ganze Johr braach leit, weil der Pächter in de Diakonie leit. Ich glaab, wann der widder aussem Krankenhaus kimmt, kann er sei Gaade nittmer in Schuß halle. Deen kennsche dann krien! Der Mann hot jeedes Johr echde Kuhmischt vum Max-Planck-Inschtitut unnergegraab. Der hadd immer die scheenschde Tomaade!…Un was machschen du jetz so allewei?

Ost.

Ei, ich bin aach in Rende gang. Mei Fraa seed, scheer dich aussem Haus, laaf merr nitt dauernd in de Fiiß rum.

Schorsch.

Was machden dei Marri?

– 24 –

Ost.

Ei, die duhd heirade!

Schorsch.

Guck emool do, aus Kinner werre Leit! Wer issen der Unglickliche, deen se beschwätzt hot?

Ost.

Das is e Ami, e Saadschen! Der geht neegschdens heem no Minnesooda un nemmt se mit no Ameriga.

Schorsch.

Dei Marri is e prachtvoll Meede! Ich duhn ihr alles Guhde winsche! Weesche noch, wie die domools geholf hott, Kreiznach ze veteidische? Die hadd kee Engscht. Wie die Mannsleit in de Kellere gehockt honn, is die middem Fahrrad zu mir do eraus aan die Lohrer Mihl komm.

Ost.

Wägglich, Schorsch, ich hätt nie geglaabt, dass merr all noch mool devunn deede komme. Uns geht’s doch jetzt widder prima… odder nit?

Schorsch.

Redd mer nit vun deere Zeit! Merr wolle deen Dreckskriech endlich vergesse! Ich weeß noch genaa, wie du anno neinzehhunnertzwee´edreißisch, als de Hitler uff de Pingschtwiss geredd hot, aanschließend in die SA gang bisch. Was hot der Kerl doomools gesaat? Deutsches Volk, hotter gesaat, Deutsches Volk, gib mir vier Jahre Zeit, und ihr werdet Deutschland nicht wieder erkennen! Weesche das noch?

Ost.

Erinner mich nit do draan! Wer hodden ahne kenne, dass der Aanstreicher aus Eeschtreich unser Deitschland so gabutt mache kennt? Die Russe stehn midde in Deitschland, un Schlesien, Oschtpreiße, Danzisch, iwwerhaupt ganz Oschtdeitschland honn jetz annere!

Schorsch.

Mei Liewer, das hätt ich dir saan kenne, wie der Hitlerkriech deed ausgehn gleich am Aanfang. Iwwerhaupt glaab ich, dass merr froh sein solle, dass merr deen Kriech verloor honn. Kannsch du dir vorstelle, dass du aan de Wolga als Wehrbauer im Winder dei Fiß deedsch vefriere? Do planz ich schunn liewer mei Krumbeere aan de Ellerbach!

(Man hört näherkommenden Mofa-Lärm)

Quex (in Feuerwehruniform am Zaun).

Hallo, die Herren! Wie geht’s? Wie Steht´s?

Schorsch.

Ei, wo kimmsch du dann her? Guck emool do, unser frihere Scharfihrer un speedere Boi-Skaut widder in e annere Uniform!

Quex.

Ich bin jetzt in der Feuerwehr! Nächstens werde ich stellvertretender Einsatz- und Bereitschaftsleiter!

Ost.

Do muss ich jo graduliere! Du bisch awwer sicher traurisch, dass es nitt so oft brennt wie domools, als die Bombe gefall sinn?!

Quex.

Unsinn! Katastrophen gibts immer! Auch ohne Krieg! Aber wie geht es den Herren wirklich! Insbesondere Ihnen, Herr Landrat a.D.?

Schorsch.

Du willscht mich wohl uff de Aam nemme. Bass uff, sunscht schmeiß ich derr e Krumbeer aan de Kobb!

– 25 –

Quex.

Nein, ehrlich. Ich bin auf dem Weg nach Rüdesheim. Dort haben wir eine Jubiläumsfeier der freiwilligen Feuerwehr, da hab ich gedacht, ich fahr mal bei Ihnen vorbei. Denn, das sage ich ganz offen, ich habe Sie schon immer bewundert wegen Ihrer Geradlinigkeit in politischen Ansichten!

Schorsch.

Komm, sei still un mach kee Sprich! Fahr no Riddesem un duh beim Jubiläum ordentlich leche! De Dorscht, meen ich!

(Schütteln sich die Hand, Quex ab)

Ost.

Do sieht merr´s wohl widder: die Junge verkraffde so e dausendjährisches Reich wie nix un leewe gesund weider!

Schorsch.

Un außerdem beweist das mool aach, wie wichdisch foor uns Deitsche e Uniform is! Du brausch eeme vun nor e scheene Uniform ze gewwe, un schunn kann er foor lauder Kraft nittmehr

normal sinn!

(Am Zaun erscheinen Nord und West)

Nord/West.

Gemoijen, ihr zwee!

Schorsch.

Allewei schleet´s dreizehn! Was wolld ihr dann aach do? Ei, merr meent jo graad, mir hädde do e vespeedete Reichsbardeidaach! Odder habt ihr drei eich vorgenomm, mich in meinem Gaade ze besuche? Do steckt doch ebbes dehinner!

Nord.

Lieber Herr Vorstand des Kleingärtner Vereins! Wir sind alle gekommen, um Ihnen zu gratulieren! Der liebe Hannes hat uns gesagt, dass man Sie gestern mit überwältigender Mehrheit zum Vorstand des Kleingärtner Vereins gewählt hat. Mich freut es besonders, dass man damit Ihre Verdienste um die Pflege der heimatlichen Scholle, der guten Mutter Erde….

Schorsch (unterbricht).

Fange Se jetz schunn widder vun Blut un Boddem aan? Vun heimatlicher Scholle? Vun Mudder un Kind? Ich meschd mool wisse, was mei Gaade mit heimatlicher Scholle ze duhn hot? Komm, heere Se uff mit deene Färz!

Nord (fährt unbeirrbar fort).

Sie sprangen im entscheidenden Moment in die Bresche, als es galt, unsere Vaterstadt vor dem endgültigen Ruin zu bewahren! Man ernannte Sie zum Landrat! Heute sind Sie Helfer und Vorbild der Bürger, wenn es um Blumen, Obst….

Schorsch.

Un Kabbes geht!

West.

Aber es ist doch Tatsache: Sie waren doch unser Landrat!

Schorsch.

Was e Glick, dass es nitt ums Wasser ging, sunscht wär ich noch e Wasserrad gewo´er!

West.

Nein, lieber Freund, wir machen uns nicht lustig über dich! Wir haben uns nur gedacht, wie schön es wäre, wenn du uns hilfst, dass wir auch ein Gartengrundstück bekommen könnten, um so wie Sie die alten Tage verbringen zu können.

Schorsch.

Aha! Nachdigall, ich heer dich trabbsen! Ihr habt eich abgesproch, ich soll widder ebbes foor eich duhn! Awwer ihr habt ganz recht, ich will gugge, was ich foor eich mache kann! Ihr kommt zwar e

– 26 –

bißje speed uff deen eenzich richdische Gedanke: es gibt nix Besseres uff de Welt als e Kleengaade! Klengärtner sinn friedliche Leit, die sinn vun Nadur aus geeje Streit, die sinn foor friedliche Nachbarschaft, die honn Zeit, weil se waade misse, bis ebbes wächst; die sinn geeje jeed Sort vunn Unkraut; die halle die Umwelt sauwer un esse aach, wasse selwer gezooh honn. Korz un gut: jeeder Politiker mißt ze´erscht e Kleengärtnerexame mache, bis merr´n aan die Öffentlichkeit läßt!

Nord.

Seien Sie still mit diesem Hymnus auf die Kleingärtner, sonst bleiben wir gleich bei Ihnen!

West.

Nein, lieber Hannes, Sie haben wirklich recht! Hitler hatte nie einen Kleingarten, deshalb wollte er umspaten, säen, gießen, ernten zu gleicher Zeit. Adenauer züchtet wenigstens Rosen: der Alte hat Geduld, deshalb ist seine Politik heute gerade richtig.

Schorsch.

Mißt ihr dann immer vunn Bollidigg redde? Was macht den eichentlich der anner Blockwart vun sellichmo, der Parteigenosse Saliner?

Nord.

Sie werden es nicht glauben: der feine Mann hat wieder die Kurve gekriegt. Der kommt nächstens in den Landtag nach Mainz!

Schorsch.

Wasse nitt saan! Ei, merr stelle mool es Radio aan. Es gibt jo gleich Nachrichde.

(Sie setzen sich gemütlich hin, öffnen eine Flasche Wein, begutachten ihn, fröhliches Geplauder über Lauch, Kappes, Radieschen etc. Schorsch dreht am Empfänger, typischer Wellensalat zunächst, dann deutlicher werdend)

Radio.

Von Nordkorea drangen kommunistische Streitkräfte in Divisionsstärke in Südkorea ein, um die Demokratie in Seoul zu stürzen. Präsident Truman gab Befehl zum Eingreifen amerikanischer Truppen…. Die Außenministerkonferenz der westlichen Staaten beschloss das politische Alleinvertretungsrecht und die Garantie der Bundesrepublik Deutschland und Westberlins und die beschleunigte Wiederaufrüstung der Bundesrepublik. Dazu ernannte sie…..

(Schorsch springt an den Apparat, dreht ihn ab)

Schorsch.

Ich kann so ebbes nitt heere! Fängt dann derselwe Zirkus schunn widder aan?

Nord.

Aber ich bitte Sie, wir leben doch nicht allein auf der Welt. Darf ich nicht die Nachrichten zu Ende hören?

Schorsch.

Meinetweeje. Awwer eijere duhn se mich doch!

(Nord hat den Apparat angestellt, wie vorher, erst nach einer Weile hört man klar)

Radio.

Unser Korrespondent teilt aus Washington mit: Wie im Weißen Haus verlautbart, erklärte Präsident Truman auf einer Pressekonferenz es für unabdingbar, dass gegen die Bedrohung durch die UdSSR die Bundesrepublik Deutschland auch militärisch ihren Beitrag zu leisten habe. Die sowjetische Expansion bedrohe die westliche Zivilisation. Gerade die Deutschen, so hebt auch der Kommentator in New York hervor, hätten ein besonderes lebenswichtiges Interesse daran, die Werte der Freiheit und der Humanität gegen den asiatischen Geist der Unterdrückung und Unmenschlichkeit zu verteidigen. Es wird damit gerechnet, dass die Bundesrepublik in Kürze die Wiederbewaffnung einführt und mit Schaffung der Bundeswehr zu……

Schorsch.

Jetz is awwer Schluss! (stellt das Radio ab) Is das mei Radio odder eires? Ich will so ebbes in

– 27 –

meinem Gaade nitmerr heere! So ebbes zieht jo alle Maulwerf un Leiermeis aan! Paßt uff! Es werrd nitmerr lang dauere, dann hommer aach widder Bombe do erum leije un unser Kinner schbiele widder mit Panzer un annere Mordinschtrumende! Un uffeemool kimmt aach widder e Fihrer, un dann guhde Nacht!

West.

Aber Herr Landrat, entschuldigen Sie, lieber Schorsch, Sie sehen zu schwarz! Wir haben doch aus der Geschichte gelernt!

Schorsch.

Hommer das wägglich?

Vorhang.

– 28 –

EPILOG

Und wenn jetzt einer von euch sagt,

dass unser Spiel ihm nicht behagt,

weil es von Wahrheit sei entfernt,

dann hat er nichts dazu gelernt!

Natürlich ist die Wahrheit immer

in Wirklichkeit noch viel mal schlimmer!

Wir mussten ändern, mussten mildern

das Leid nicht allzu grausam schildern.

Jedoch die Wahrheit bleibt bestehn:

der Ort, die Zeit und das Geschehn.

Bedenkt es wohl, weil ihr jetzt wisst,

wie damals es gewesen!

++++